In der „Demographischen Falle“
Es gibt in Deutschland einen weit verbreiteten Mythos: Die Alten fressen die Jungen auf. Die Erklärung ist landauf landab zu hören: früher gab es viele Junge und wenige Alte, heute ist es umgekehrt – und deshalb ist die Rente bald nicht mehr zu finanzieren und der Konflikt zwischen Jung und Alt vorprogrammiert.
Schon vor 20 Jahren wurde von Wissenschaftlern prophezeit, dass unser System in 20 Jahren, also etwa heute, zusammenbrechen müsse. Diese Wissenschaftler haben sich getäuscht, weil sie viele Parameter offensichtlich nicht genau genug geschätzt oder nicht berücksichtigt haben.
Manchmal begegnet uns auch ein Erschrecken darüber, dass es plötzlich so viele Alte und weniger Junge gibt als in der jüngeren Vergangenheit. Das ist schwer zu verstehen, denn die Altersentwicklung einer Gesellschaft (die demographische Entwicklung) ist über weite Strecken gut vorhersehbar. Jedenfalls könnte man vermuten, dass jemand, der vor 60 Jahren geboren wurde, heute 60 Jahre alt ist und jemand der nicht geboren wurde, heute auch nicht unter uns sein kann.
Der Blick auf die Alterspyramide verrät auch, dass es bei Kostenbetrachtungen auch darum geht, die Kindergeneration zu berücksichtigen, denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, etwa im Alter zwischen 15 und 65 müssen ja nicht nur die älteren ab etwa 65 versorgen, sondern auch für die jüngeren bis in den Berufseintritt aufkommen.
Meine These: Wer im Kontext der Altersvorsorge und Altersversorgung nur das das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Jung und Alt als Konflikt beschreibt, will den tatsächlichen Konflikt, den Konflikt zwischen Reich und Arm verschleiern.
Die Alten leben nicht auf Kosten der Jungen, sondern die junge Generation profitiert von Vielem, was die heutige Rentnergeneration geschaffen hat. Infrastruktur, Produktionsanlagen, technische Innovationen, Bildungssystem, wissenschaftliche Erkenntnisse… Allerdings leidet die junge Generation darunter, dass die Vorgenerationen zu viele fossile Ressourcen verbraucht haben und das Klima bzw. die Erderwärmung dramatisch unter Druck gebracht wurde. Das Gute im Schlechten: mit der heutigen Produktivität und den technischen Möglichkeiten, kann die Energieversorgung auf die Sonne umgestellt werden – wir sagen: Die Jugend hat die Chance zur Sozial-ökologische Transformation.
In der Nachkriegszeit wurden von etwa 1955 bis 1965 relativ viele Kinder geboren, die sogenannten „Babyboomer“, danach kam die „Generation der Pillenknicker“, weil ab etwa 1965 in Deutschland die Antibabypille verstärkt verwendet wurde. Verstärkt wurde der Effekt durch die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs. Der Babyboom erreichte 1964 mit 1,36 Millionen Geburten sein Maximum seit 1945.
In den 60ern haben 6 Arbeitnehmer einen Rentner oder eine Rentnerin versorgt. Heute versorgen drei Arbeitnehmer einen Rentner oder eine Rentnerin und noch dazu leben Rentnerinnen und Rentner über 10 Jahre länger in der „Ruhephase“.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag in den 60ern zwischen 300 und 400 Milliarden Euro. Inzwischen (2025) liegt das BIP bei etwa 4.400 Milliarden Euro. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs dabei von 1950 bis 2022 im Durchschnitt 3,1 % pro Jahr, wobei bis Ende der 1960er Jahre mehr als die Hälfte der Bruttowertschöpfung von der Industrie kam, diese Rolle hat heute der Dienstleistungsbereich mit rund 70 % übernommen.
Das bedeute, dass trotz geringeren Geburtenzahlen, die viel zu wenig durch Zuwanderung ausgeglichen wurden, das BIP gewaltig gestiegen ist und heute in einem Jahr größer ist als damals in einem Jahrzehnt. Starkes Wachstum gilt auch für das reale BIP (also preisbereinigt) auch wenn wir beim Wachstum Phasen der Verlangsamung sehen (beispielsweise durch: Ölpreiskrise in den 70er Jahren oder Covid-19-Pandemie 2020).
Die Nazis hatten 1945 ein total zerstörtes Deutschland (und viele andere Länder auch) hinterlassen. Der Aufbau Deutschlands in den Nachkriegsjahrzehnten und das damit einhergehende enorme Wirtschaftswachstum ist eine Leistung der arbeitenden Nachkriegsgenerationen, die nun nach und nach in Rente gehen. Sie haben eine sehr hohe Arbeitsproduktivität geschaffen. (Die Arbeitsproduktivität gibt an, wie viel Output, also Güter und Dienstleistungen, pro Arbeitsstunde erwirtschaftet werden.) Diese Arbeitsproduktivität würde mühelos ausreichen, um auch mit geburtenschwachen Jahrgängen die ältere Generation und die Kindergeneration zu versorgen. Und doch ist die Klage zu hören, dass es Probleme bei der Finanzierung der Altersvorsorge gibt oder geben könnte, weil der notwendige Anteil aus dem Staatstopf (Bundeshaushalt) immer stärker ansteigen müsste. Gegenwärtig wird die Rente in der Gesetzlichen Rentenversicherung (2023 etwa 380 Milliarden Euro für 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner) zu einem Drittel von Arbeitnehmern zu einem Drittel von Arbeitgebern und zu einem Drittel aus Steuern finanziert. (Beamtenpensionen und die Altersversorgung von Selbständigen sind nicht enthalten.)
Wenn es trotz dieser großen Leistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, in einer Größenordnung von 4.400 Milliarden Euro pro Jahr, Probleme bei der Finanzierung der Rente gibt, liegt das daran, dass Einkommen und die Möglichkeiten Vermögen zu bilden extrem weit auseinander liegen, ja extrem in Schieflage sind.
Um die Größenordnung anzudeuten:
In 2020 lag das Bruttoerwerbseinkommen der unteren Hälfte bei knapp 24 Prozent, die oberen 10 Prozent konnten über knapp 28 Prozent verfügen. Bei den Vermögen sind die Verhältnisse noch krasser: Die untere Hälfte hat einen Vermögensanteil von 0,3 Prozent, die oberen 10 Prozent konnten ein Vermögensanteil, von 60 Prozent anhäufen.
Dabei belief sich Anfang 2025 das investierte Vermögen der privaten Haushalte in Wohnbauten bzw. Wohngebäude auf etwa 6,5 Billionen Euro. Das private Sachvermögen betrug etwa 12,4 Billionen Euro, das Geldvermögen der privaten Haushalte kletterte auf etwa 9 Billionen. Solche Vermögen werden durch hohe Einkommen und Erbschaften möglich. Gibt es bei diesen Summen ein Verteilungsproblem, müssen wir uns nicht wundern, wenn staatlich bzw. Gemeinschaftsaufgaben unter Finanzierungsproblemen leiden.
Und so ist es auch mit der Altersvorsorge – würden die großen Erfolge bei der Entwicklung der Produktivität in den vergangene Jahrzenten halbwegs gerecht verteilt, würde sich nicht eine kleine Gruppe am Gesamtergebnis bereichern, wäre nicht nur die Rente mühelos zu finanzieren. Wer das allerdings verschleiern will, beklagt die demografische Entwicklung: viel Alte, wenig Junge und schon ist ein Problem konstruiert.
Zusammenfassung: Die reine Betrachtung der Anzahl junger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Verhältnis zu alten Rentnerinnen und Rentnern ist nicht zielführend. Man muss dazu wenigstens die Produktivität und die Verteilung des Ergebnisses der Produktivität, auch den Beschäftigungsgrad und weitere Parameter, bedenken – dann ist die Finanzierung der „Babyboomer-Generation“ kein Problem.“ Wer nur die Anzahl junger und alter Menschen bedenkt, ist argumentativ in die „demographische Falle“ derjenigen geraten, die den Konflikt zwischen Jung und Alt behaupten, um den Konflikt zwischen Reich und Arm zu verbergen.
Mit dieser Betrachtung wird auch deutlich, warum unsere AG SPD 60 plus eine Erwerbstätigenversicherung anstrebt und fordert und wie wir damit die Altersarmut überwinden wollen. Die Erwerbstätigenversicherung bleibt einem weiteren Artikel vorbehalten.
Lothar Binding
Bundesvorsitzender
In the ‘demographic trap’
There is a widespread myth in Germany: the old are eating up the young. The explanation can be heard all over the country: there used to be many young people and few old people, today it is the other way round - and therefore pensions will soon no longer be affordable and the conflict between young and old is inevitable.
Twenty years ago, scientists were already predicting that our system would collapse in 20 years, i.e. around today. These scientists were wrong because they obviously did not estimate many parameters accurately enough or did not take them into account.
Sometimes we are also shocked by the fact that there are suddenly so many old people and fewer young people than in the recent past. This is difficult to understand, because the age development of a society (the demographic development) is largely predictable. In any case, one could assume that someone who was born 60 years ago is 60 years old today and that someone who was not born today cannot be among us.
A look at the age pyramid also reveals that when considering costs, it is also important to take the children's generation into account, as employees between the ages of 15 and 65, for example, not only have to provide for the older generation from around 65, but also have to pay for the younger generation until they enter the labour market.
My thesis is that anyone who only describes the numerical relationship between young and old as a conflict in the context of old-age provision and pensions is trying to conceal the real conflict, the conflict between rich and poor.
The old do not live at the expense of the young, but the young generation benefits from much of what today's generation of pensioners has created. Infrastructure, production facilities, technical innovations, the education system, scientific knowledge... However, the younger generation suffers from the fact that previous generations have consumed too many fossil resources and the climate and global warming have been put under dramatic pressure. The good in the bad: with today's productivity and technical possibilities, the energy supply can be switched to the sun - we say: young people have the chance for socio-ecological transformation.
Age pyramid 1965 and 2025 (© Federal Statistical Office (Destatis), 2025)
In the post-war period, a relatively large number of children were born from around 1955 to 1965, the so-called ‘baby boomers’, followed by the ‘generation of pill poppers’, because the contraceptive pill was increasingly used in Germany from around 1965. The effect was intensified by the aftermath of the Second World War. The baby boom reached its maximum since 1945 in 1964 with 1.36 million births.
In the 1960s, six employees looked after one pensioner. Today, three employees provide for one pensioner and pensioners live over 10 years longer in the ‘retirement phase’.
In the 1960s, the gross domestic product (GDP) was between 300 and 400 billion euros. In the meantime (2025), GDP is around 4,400 billion euros. Gross domestic product grew by an average of 3.1% per year between 1950 and 2022, with more than half of gross value added coming from industry until the end of the 1960s; today, the service sector has taken over this role with around 70%.
This means that despite lower birth rates, which were insufficiently compensated for by immigration, GDP has risen enormously and is now higher in one year than it was in a decade. Strong growth also applies to real GDP (i.e. price-adjusted), even if we see phases of slowdown in growth (e.g. due to the oil price crisis in the 1970s or Covid-19 pandemic in 2020).
The Nazis left Germany (and many other countries) totally destroyed in 1945. The reconstruction of Germany in the post-war decades and the enormous economic growth that accompanied it is an achievement of the post-war working generations, who are now gradually retiring. They have created a very high level of labour productivity. (Labour productivity indicates how much output, i.e. goods and services, is generated per hour worked). This labour productivity would easily be sufficient to provide for the older generation and the generation of children, even with a low birth rate. And yet there are complaints that there are or could be problems in financing old-age provision, because the necessary share from the state pot (federal budget) would have to increase more and more. At present, pensions in the statutory pension insurance scheme (around 380 billion euros for 21 million pensioners in 2023) are financed one third by employees, one third by employers and one third by taxes. (Civil servants' pensions and pensions for the self-employed are not included).
If there are problems in financing pensions despite this huge contribution by employees, amounting to around 4,400 billion euros per year, this is because income and the opportunities to accumulate assets are extremely far apart, indeed extremely imbalanced.
To give an indication of the order of magnitude:
In 2020, the gross earned income of the bottom half was just under 24 per cent, while the top 10 per cent had access to just under 28 per cent. In terms of wealth, the ratios are even starker: the lower half had a wealth share of 0.3 per cent, while the top 10 per cent were able to accumulate a wealth share of 60 per cent.
At the beginning of 2025, the assets invested by private households in residential buildings totalled around 6.5 trillion euros. Private tangible assets totalled around 12.4 trillion euros, while the financial assets of private households climbed to around 9 trillion euros. Such assets are made possible by high incomes and inheritances. If there is a distribution problem with these sums, we should not be surprised if state and community tasks suffer from funding problems.
And it is the same with pension provision - if the great successes in the development of productivity over the past decades were distributed fairly, if a small group did not enrich itself from the overall result, it would not only be easy to finance pensions. However, anyone who wants to disguise this is complaining about the demographic trend: lots of old people, few young people and a problem is created.
To summarise: simply looking at the number of young workers in relation to old pensioners is not helpful. One must at least consider productivity and the distribution of the result of productivity, including the level of employment and other parameters - then the financing of the‘baby boomer generation’ is not a problem.’ Anyone who only considers the number of young and old people has fallen into the ‘demographic trap’ of those who claim that there is a conflict between young and old in order to hide the conflict between rich and poor.
This view also makes it clear why our SPD 60 plus working group is striving for and calling for an employment insurance scheme and how we intend to use it to overcome poverty in old age. Employment insurance will be the subject of another article.
Lothar Binding
Federal Chairman