Der Bundesvorsitzende der AG 60plus Lothar Binding war wieder in Deutschland unterwegs. Von Isny über Bielefeld nach Ulm, viele Städte waren dabei. Mit Witz und Kompetenz begeisterte Lothar Binding die Gäste bei seinen gut einstündigen Vorträgen. Immer wenn er in diesem Winterwahlkampf vom Straßenwahlkampf in den Innenraum wechselte, ging es um Rente, Steuern und Wirtschaft.
So fragt er eingangs rhetorisch und antwortete gleich selbst: Wer ist der größte Lügner im Land? Der Durchschnitt! Denn der Durchschnitt verstecke den Reichtum und verschweige die Armut. Deshalb sei die Aussage „uns geht‘s doch ganz gut“ richtig und falsch zugleich. Im Durchschnitt stimmt sie, aber bei genauerem Hinsehen sehen wir auch Armut. Deshalb gehe es in der Politik viel mehr um den genauen Blick als um lautes Geschrei.“
So sei schnell zu sehen, wie wichtig ein kluges Schuldenmanagement sei, um die vernachlässigte Infrastruktur – Schienennetz, Schulen, Schleusen, Brücken, Radwegenetz, Digitalisierung der Verwaltung – zu sanieren, zu renovieren und teilweise aufzubauen. Minister die sich auf das Zahlenwerk des Bundeshaushalts reduzieren, aber die marode Infrastruktur im Land nicht sehen, die nicht sehen, dass bald 20 Prozent aller Hauptschulabgänger keinen Lehrberuf ergreifen können, dass die Hälfte aller Züge unpünktlich sind, „legen nur scheinbar einen Haushalt ohne neue Schulden vor, denn die Folgelasten vernachlässigter Infrastruktur sind für die nachfolgenden Generationen ungleich größer als die Zinsen im Haushalt – solange ordentlich auf die Schuldentragfähigkeit geachtet wird“ so Binding.
Binding entzauberte auch den Mythos, Staatsschulden müssten „zurückgezahlt“ werden: „Staatsschulden sind Schulden bei sich selbst, der Bundesbank, bei allen Bürgerinnen und Bürgern und Leuten aus dem Ausland, die ihr Geld gern an Deutschland ausleihen, sogar zu manchmal sehr niedrigen Zinsen, weil Deutschland einen guten Ruf hat und als sicher eingeschätzt wird. Deshalb geht es vor allem um Schuldentragfähigkeit, also darum, dass der Staat stets die Schulden etwa durch Zinsen finanzieren kann. Die Schulden sind also nicht mehr als ein Geldtopf, in den ständig eingezahlt wird und aus dem auch ständig Leute Teile ihres Geldes zurückhaben möchten. Erst mit diesem Liquiditätstopf ist der Staat in der Lage, ein Straßennetz, ein Schienennetz, Universitäten und Schulen zu bauen, denn die Bürger sind quasi ihre eigenen Gläubiger. Deshalb erhalten unsere Enkel/Gläubiger auch nicht nur die Staatsschulden, wie oft behauptet, sondern gleichzeitig Papiere, mit denen Sie ihren Teil (Anleihen ihrer Großeltern zum Beispiel) zurückbekommen – und gleichzeitig eine gute Infrastruktur.“
Eine der Ursachen, warum die deutsche Wirtschaft schwächele, sei die fehlende Nachfrage von privaten Haushalten, bei einer Sparquote von derzeit über zehn Prozent. Die zweite Ursache sei die schwache öffentlich Nachfrage – eine Folge der aus Bindings Sicht dogmatischen Versteifung auf die Schuldenbremse. Und wer gibt sein Geld überwiegend im heimischen Markt aus? Rentnerinnen und Rentner, die am Monatsende nur selten noch etwas übrighaben, um Aktien bei der Hong Kong Stock Exchange zu kaufen.
Die Rente habe eine gute Zukunft, so Binding, denn: „Die reine Betrachtung der Anzahl junger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Verhältnis zu alten Rentnerinnen und Rentnern sei nicht zielführend. Man muss dazu zwingend die Produktivität und die Verteilung von Produktivität bedenken – dann ist die Finanzierung der „Babyboomer-Generation“ kein Problem.“ Wer nur die Anzahl junger und alter Menschen bedenke, sei argumentativ in die „demographische Falle derjenigen geraten, die den Konflikt zwischen Jung und Alt behaupten, um den Konflikt zwischen Reich und Arm zu verbergen.