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Aktuelles

01.05.2020

Am Tag der Arbeit – Respekt und die Würde aller Generationen

AG 60 plus Bundesvorstand

„Ich sag es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen“ Und weiter: „Wir wissen: Über 80 sterben die meisten irgendwann.“ Nein, auch ein grüner Politiker darf nicht alles sagen. Ich höre: „Aber der ist doch so charmant, so brutal eloquent.“ Nein, auch ein charmanter, eloquenter Henker bleibt ein Henker. Und auch ein Grüner darf nicht Herr werden über das Fallbeil. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis die medizinischen Wissenschaften, die Pharmazie, eine schrittweise humanere Arbeitswelt und Erkenntnisse über Hygiene, die Lebenserwartung im Allgemeinen von 45 auf über 70 Jahre gesteigert haben. Und das ist unserer Gesellschaft gut bekommen.

Abgesehen davon, dass auch über 46 „die meisten irgendwann sterben“, stört nicht nur, was er sagt, noch mehr stört seine Denkstruktur: Wenn wir heute die über 80-jährigen nicht mehr retten, dann retten wir morgen die über 70-jährigen nicht mehr und schon bald werden die U30 es nicht für opportun halten die Ü40 zu retten.

Was sich offensichtlich lohnt, ist „die Wirtschaft“ zu retten. Allerdings wissen wir ja heute noch nicht, ob wir nicht Unternehmen retten, die sowieso bald in die Insolvenz gehen. Und einige sterben ja sowieso (über 100.000 jedes Jahr durch Insolvenz). Wir wissen auch nicht, ob wir nicht Kurzarbeitergeld an Kolleginnen und Kollegen bezahlen, die sowieso bald arbeitslos sind.

Nein. Nicht nur am Tag der Arbeit, aber dann besonders sichtbar, geht es um den Respekt und die Würde – aller Menschen und aller Generationen.

Die AG SPD 60 plus nimmt den Tag der Arbeit zum Anlass daran zu erinnern, dass auch ältere Menschen noch einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten, sei es einfach als Mitglied unserer Gesellschaft, im Erwerbsleben, als Rentner*innen, als Eltern oder Großeltern. In der Krise erkennt man den wahren Charakter: Wer in der Krise die Menschen nach lebenswert (zu retten) oder eben nicht lebenswert sortiert, verrät mehr über sich als ihm lieb sein kann.

Die Generationen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, nur damit die Jüngeren früher wieder zu ihrem gewohnten Leben bei Arbeit und Freizeit zurückkehren oder Produktionsprozesse wieder aufgenommen werden können. Es ist schon schlimm genug, dass Bewohner von Alten- und Pflegeheimen keinen Besuch mehr empfangen dürfen und so in ihrem letzten Lebensabschnitt vom persönlichen Kontakt mit ihren Familien weitgehend getrennt werden. Das kann erhebliche psychische Probleme verursachen und Folgen für die Gesundheit haben. Darum müssen wir uns kümmern. So wie wir uns um gute Arbeitsverhältnisse, um faire Löhne, um einegerechtere Vermögenverteilung, um Frieden, um starke Gewerkschaften kümmern, so müssen wir uns auch darum kümmern, dass es allen physisch und psychisch so gut geht wie möglich und niemand im Seniorenheim oder auf der Pflegestation vereinsamt. Die Würde lässt sich nicht in ökonomisch brauchbar und unbrauchbar einteilen.

Gerade solche diskriminierenden Aussagen wie „über 46 sterben die meisten irgendwann“ machen deutlich, dass wir sehr gut aufpassen müssen, wem wir (Regierungs-)Verantwortung anvertrauen. Auch bei den Parteien von CDU und CSU ist es mit der Nächstenliebe oft nicht weit her, wie wir leicht in der krampfhaften Debatte über die Anhebung des Kurzarbeitergeldes gesehen haben – nur gegen eine lobbygewollte Steuersenkung für eine Branche als Gegengeschäft war die Anhebung zu erreichen.

Die Corona-Krise macht aber auch deutlich, wie ungleich der Lohn in unserem Land verteilt ist. Gerade die jetzt notwendigen Aufgaben, von Pflegekräften in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, über Mitarbeitende in Supermärkten oder Menschen in der Logistik, sie gehören oftmals zu den untersten Lohngruppen in unserem Land – dabei wären wir ohne sie heute komplett aufgeschmissen. Hier brauchen wir ein neues Gespür, was gute, wenigsten faire Bezahlung ist. Olaf Scholz hat erste Punkte für eine bessere Wertschätzung dieser Berufe auf den Weg gebracht, während andere nur applaudiert haben. Unser Ziel muss aber ganz klar sein, dass diese gesteigerte Wertschätzung, auch in der Bezahlung, über die aktuelle Krisensituation hinaus gelten muss. Mit Applaus lässt sich keine Miete bezahlen, kein Essen auf den Tisch bringen. Wir brauchen aktuell (2020) einen Mindestlohn von 12 Euro, bessere Arbeitsbedingungen und Tarifverträge in vielen Branchen.

Die Corona-Krise stellt uns alle vor große Herausforderungen, aktuell in ihrer Bewältigung und auch später, wenn es um die Bezahlung der Krise geht. Hier ist klar, starke Schultern müssen mehr tragen als schwache. Die Arbeitnehmer*innen dürfen nicht in ihren Rechten beschnitten werden, um unter dem Deckmantel der Krise, „die Wirtschaft“ zu stärken. Im Übrigen: ohne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann auch „die Wirtschaft“ ihren Wert nicht lange behalten.

Vielmehr müssen die Lehren der Krise sein:

  • Ein stärkeres Gemeinwesen und Miteinander aller Generationen
  • Mehr Mitbestimmung von Arbeitnehmer*innen
  • Mehr Tarifverträge
  • Bessere Anerkennung vieler Berufe
  • Höhere Löhne, mindestens 12 Euro pro Stunde
  • Ein gerechteres Steuersystem
  • Nachhaltige Produktionsketten
  • Krisenfeste Lieferketten

In diesem Jahr können wir uns am 1. Mai nicht zur Kundgebung treffen. Gleichwohl sind wir solidarisch mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf der ganzen Welt. Und so merkwürdig es sich anfühlt: Gerade indem wir auf die Kundgebung verzichten, nehmen wir Rücksicht und zeigen Solidarität.

Der DGB hat eine Vielzahl von digitalen Aktionsformen ins Leben gerufen, um an Kundgebungen zum Tag der Arbeit 2020 digital teilzunehmen: https://www.dgb.de/erster-mai-tag-der-arbeit Solidarisch ist man nicht alleine.

Wir wünschen einen guten ersten Mai.

Für die Arbeitsgemeinschaft SPD 60 plus

Lothar Binding
Bundesvorsitzender der AG SPD 60 plus
Finanzpolitischer Sprecher der SPD Bundestagsfraktion