Nina Schwarz, wissenschaftliche Referentin für Alter und Pflege beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.*, sprach über den bisher kaum ausgefüllten Rahmen, den die Altenhilfe nach §71 SGB XII bietet. Sie beschrieb die Veränderung der Begrifflichkeiten, die jetzt auf Selbstbestimmung und Selbsthilfe abheben. Zudem wird das gesellschaftliche Engagement hervorgehoben. Der § 71 SGB XII ist zwar eine „Sollvorschrift“, zugleich aber eine Pflichtaufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte. Angesichts klammer Kassen scheint dies aber nicht ausreichend umgesetzt zu werden. Die jüngsten Empfehlungen des Vereins, die von den Mitgliedern einstimmig verabschiedet wurden, sollen zu einer einheitlichen Anwendung und Umsetzung „entlang einer gemeinsamen Zielrichtung zur Altenhilfe“ beitragen. Der Deutsche Verein sieht die Altenhilfe nach § 71 als Dreiklang aus Infrastrukturverantwortung, Beratungsauftrag und Leistungen im Einzelfall. Altenhilfeplanung müsse im Rahmen integrierter Planungsansätze landesrechtlich verbindlich gemacht werden. Die Beratung sei wesentliche Voraussetzung zur Inanspruchnahme von Angeboten und Leistungen. Beratung müsse digitale Bildung und Teilhabe als Querschnittsaufgabe begreifen. Präventive Hausbesuche oder ähnliche Angebote, die es bereits in Berlin und Hamburg gibt, durchgeführt durch die Bezirke, sollten ausgebaut werden. Das Fazit der Referentin:
- Die Gestaltung einer Altenhilfeinfrastruktur sei eine der drängendsten Aufgaben in den Kommunen, um den Herausforderungen zu begegnen. Sie sei entscheidend für die Teilhabe älterer Menschen.
- Eine fachlich angemessene Altenhilfeinfrastruktur stelle Möglichkeiten der Partizipation und Mitverantwortung, Angebote der Begegnung, Teilhabe und des Engagements sowie verlässliche Beratungs- und Unterstützungsangebote sicher und verbinde sie mit zielgruppenspezifischer Prävention und Gesundheitsförderung.
- Vor allem Landkreise und kreisfreie Städte müssten auch unter Haushaltsvorbehalt/Haushaltssicherung ihre Pflichtaufgaben erfüllen. Die Landesgesetzgeber seien gefragt, den durch den §71 SGB XII gegebenen Rahmen auszufüllen und die Kommunen in die Lage zu versetzen, ihren Verpflichtungen nach § 71 SGB XII nachkommen zu können.
Im zweiten Vortrag ging es um die „Altersarmut und ihre Folgen“. Henriette Wunderlich, Referentin in der Abteilung Sozialpolitik des Sozialverbands Deutschland e.V.**, betonte, Armut führe zu fehlender Teilhabe. Sie bezog sich dabei auf das Einsamkeitsgutachten 2020 des SoVD. Fast jede*r dritte Deutsche fühle sich nicht dazugehörig. Ein erschreckendes Ergebnis, fand ein Teilnehmer. Dann wurde das System der Alterssicherung in Deutschland sehr schlüssig erklärt und auf die großen Unterschiede zwischen der Beamtenversorgung und der Rentenversicherung plus Betrieblicher Altersversorgung bzw. Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst hingewiesen. Der gesetzlichen Rentenversicherung vertrauten viele Menschen. Dieses Vertrauen gelte es durch Sicherheit zu erfüllen.
Die durchschnittlichen Rentenzahlbeträge zum 1.7.2022 machten dann deutlich, was 48 Prozent in der Realität bedeuten: 1.292 € für Männer, 855 € für Frauen. Der durchschnittliche Gesamtrentenzahlbetrag sieht zum Glück etwas besser aus 1.594 € für Männer und 1.573 € für Frauen. Bei Letzteren machen Hinterbliebenenrenten einen großen Unterschied wie man sieht. Aber diese Zahlen verschleiern die großen Unterschiede zwischen West und Ost bei den Männern. Fast 300 € liegen zwischen den Bruttorenten Ende 2022 im Saarland und denen in Thüringen, 1.840 zu 1.551 €. Bei den Frauen ist dies viel gleichmäßiger. Da schwanken die Bruttorenten um die 1.300 € herum. Nur in Ost-Berlin erreicht die Durchschnittsrente gerade über 1.500 €. Über 2.000 € kommen insgesamt nur 4,3% der männlichen Rentner.
Da ist es eigentlich ein Wunder, dass nur etwas mehr als 600.000 Rentner ihre Bezüge durch Grundsicherung aufstocken. Die Gründe sind wohl Stolz, nicht auf den Staat angewiesen sein und die mit der Beantragung verbundene Bürokratie vermeiden zu wollen.
Als Lösungsansätze, die Frau Wunderlich vertritt, finden wir ein Rentenniveau von 53 Prozent, die Ablehnung der Kapitaldeckung und die Erwerbstätigenversicherung. Darüber hinaus weitergehende Tarifbindung und einen Mindestlohn von 15 €. Positionen, die auch von der SPD oder SPD 60plus vertreten werden. Die Referentin räumt auch erfrischend klar mit Mythen auf, als da sind „Der demografische Wandel macht die Rente unfinanzierbar.“ oder „Die Menschen müssen länger arbeiten, daran führt kein Weg vorbei.“ oder „Der Kapitalmarkt wird es richten.“
Fazit: Die gesetzliche Rente ist die bessere Rente, denn sie wird von Beschäftigten und ihren Arbeitgebern gemeinsam getragen. Sie sichert auch Menschen ab, die krank oder erwerbsunfähig werden. Sie steigt regelmäßig, ist stabil und unabhängig von Finanzmärkten und Aktienkursen.
Leider musste der dritte Vortrag zur Quartiersarbeit der AWO ausfallen, da die Referentin erkrankt war. Den wollen wir aber sobald wie möglich nachholen.
Den abschließenden Vortrag zur Digitalisierung und deren Beitrag zu Teilhabe und Vermeidung der Einsamkeit hielt Frank Kupferschmidt, Beisitzer im Bundesvorstand der AG SPD 60plus. Er spannte den Bogen von der Pandemie als Initialzündung über den Achten Altersbericht der Bundesregierung zum Digitalpakt Alter, dessen Ziel die umfassende digitale Teilhabe der Älteren ist. Über die letzten fünf Jahre hat die Zahl der Älteren mit Smartphone und Surf-Erfahrung im Internet erheblich zugenommen. Die BAGSO mit ihren 150 Erfahrungsorten und viele regionale und lokale Initiativen machen eine hervorragende Arbeit, um die älteren Menschen an die Digitalisierung und das Internet heranzuführen.
Dennoch gibt es eine hohe Zahl von Offlinern, die das Internet für sie selbst nicht als Nutzen betrachten oder die dies alles als zu kompliziert ansehen. Allerdings sind viele von ihnen auch Personen mit geringem Einkommen, geringer formaler Bildung, Hochaltrige und Frauen. Hier liegt eine besondere sozialpolitische Aufgabe. Aber daneben gibt es Offliner aus Überzeugung, die weiter analog leben wollen und sich dagegen wehren an den Rand gedrängt oder ausgegrenzt zu werden. SPD 60plus hat dazu auf der letzten Bundeskonferenz schon einen Beschluss gefasst, der die parallele analoge Lebensweise unterstützt. Trotzdem gestaltet sich das zunehmend schwierig, weil einfach viele Verwaltungen und Dienstleister, öffentliche Verkehrsbetriebe und Kinos, Theater auf digitale Anträge oder Kartenverkauf umstellen. Wer sich aber mit der Digitalisierung und ihren Voraussetzungen anfreunden kann und keine Probleme mit Technik oder Software hat, wird sich über den Zuwachs an Teilhabe-Optionen freuen und die enorme Horizonterweiterung genießen.
Dann gibt es noch die Gruppe der Alleinlebenden, die auch einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf, wenn sie keine Kontakte haben, keine sozialen Netzwerke und in der Gefahr sind, in die Einsamkeit abzudriften. Da könnten aufmerksame Nachbarn oder Hausmeister eine große Hilfe sein, wenn es keine präventiven Besuche wie in Berlin und Hamburg gibt. Schließlich profitieren auch Menschen mit Behinderungen von der Digitalisierung und ihren hilfreichen Apps, wenn sie denn wirklich barrierefrei sind. Natürlich gibt es auch Nachteile und Risiken der Digitalisierung: an erster Stelle die Kosten, wenn nicht Kommunen Zuschüsse zu Hard- und Software leisten, wie z.B. München. Auch die Sicherheit der Handhabung und die Basiskompetenzen müssen gewährleistet sein, damit man sich ohne ständige Unruhe den vielfältigen Informations- und Unterhaltungsangeboten widmen kann.
Zu allen Vorträgen gab es ausführliche Diskussionen und eine ganze Reihe von interessanten Vorschlägen, die wir weiterverfolgen wollen. Insgesamt eine gelungene Veranstaltung nach Meinung der Teilnehmer. „So was müsste es öfter geben“ war ein zusammenfassender Kommentar.