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Aktuelles

05.11.2022 | Bericht

Digitalisierung für alle Generationen: Fragen und Antworten vom Debattenkonvent

Digitalisierung für alle GenerationenFragen und Antworten für den Debattenkonvent

1. Eine wunderbar provokative Frage von Alina Meuser: Warum wollt Ihr hier überDigitalisierung reden – Ihr seid doch 60 plus?

Weil wir auf der Suche nach der Unsichtbarkeit sind, der Lieblingsschwester derEinsamkeit. Und wer in der Straße, im Dorf und in der Stadt in der realen Welt nichtgesehen, nicht gegrüßt, nicht per Handschlag begrüßt oder umarmt wird, und werweder Skype benutzt, also vielleicht weder IP-Telefonie, Bildtelefonie,Videokonferenzen, oder Instant-Messaging, noch E-Mail oder andere Dienste desInternet kennt, oder benutzt, wird schnell einsam. Ist einsam. Und Einsamkeit ist eineder Wegbereiterinnen von Traurigkeit, von Depression, von Krankheit, dem Verlust vonLebensqualität, von Leben diesseits des Todes. Und je früher die Einsamkeit beginnt,je größer ist der gesellschaftliche Verlust, denn unserer Gesellschaft gehen immenseVorkommen an Erfahrung, an Engagement, an Familienarbeit, besonders für die Enkelinnen und Enkel verloren.

Warum wollt Ihr hier über Digitalisierung reden – Ihr seid doch 60 plus? Was für eine Frage!Unabhängig von Alter oder Lebenslage haben alle Menschen in jedem Alter das gleiche Rechtauf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, und weil Leben heute zu einem wesentlichen Teil auch imNetz, im Web, im World Wide Web stattfindet, müssen auch die älteren Menschen und Menschenmit Beeinträchtigungen die Chance haben daran teilzunehmen. Es gibt viele Initiativen, die sichzum Ziel gesetzt haben, dies zu erreichen. Ältere Menschen sollten beim Erwerb digitalerKompetenzen begleitet werden – eine weitere Stufe auf der Treppe lebenslangenLernens. Dann lassen sich auch Vorbehalte, Sorgen, manchmal Ängste abbauen:Werde ich ausspioniert, kann ich etwas kaputt machen, dringt jemand in meineWohnung ein, wird meine Privatsphäre gestört? Eine riesige gesellschaftliche AufgabeAber wir dürfen nicht darauf warten, dass jemand das Web sucht. Das Web muss zu den Menschen kommen, jemand muss sie aufsuchen.

Allein die BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V.) hatbisher etwa 1.000 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für die Arbeit mit älterenMenschen geschult. Dabei müssen häufig Hemmschwellen überwunden werden: oftdominiert die Sorge, nicht sicher kommunizieren oder die Anforderungen in derdigitalen Welt nicht erfüllen zu können.2. Was haben die Einschränkungen der Corona-Pandemie bewirkt?

Die Besuchsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen in der Corona-Pandemiehaben das Verlangen der älteren Menschen nach Austausch mit den Angehörigennicht nur über Telefon, sondern möglichst auch über Bewegtbild-Austausch enormverstärkt. Die Enkel sehen und hören…Diejenigen, die diese Erfahrung mit den neuen Medien gemacht haben, sind oftdabeigeblieben und möchten diese Möglichkeit nicht missen. Einige davon habensich auch weitergehend für die Digitalisierung interessiert oder gewinnen lassen.Leider sind noch immer nicht alle Heime mit kostenfreiem WLAN für ihre Bewohnerausgestattet, sodass der breiteren Nutzung in diesem Bereich Grenzen gesetzt sind.3. Welche Anreize gibt es sonst, um älteren Menschen die Digitalisierung nahe zubringen?

Die Hälfte der über 75-jährigen ist noch dauerhaft offline.Anreiz hört sich gut an. Ältere Menschen stellen zunehmend fest, dass vieleDienstleistungen (einfach) nur noch online zu erhalten sind, sei es bei Stadt- undGemeindeverwaltungen, bei Banken, Versicherungen oder der Bahn und den lokalenVerkehrsbetrieben. Um nicht ausgegrenzt zu werden, muss man online-fähig sein. Daliegen „Anreiz“ und „Zwangskraft“ nahe beieinander. Für diejenigen, die sich daraufeinlassen und mit der Technik gut umzugehen lernen, ist es eine Bereicherung.Digitalisierung, die Nutzung des Internets, kann auch Seniorinnen und Senioren denAlltag erleichtern, von Online-Bestellungen bis zu Verabredungen mit Freunden, dasAufrechterhalten und Pflegen von Netzwerken und Kontakten. Neue Kontakte könnenrelativ leicht gewonnen werden. Es gibt viele hilfreiche Apps, die speziell für ältereMenschen entwickelt wurden, aber nur von 40 Prozent im Rentenalter genutztwerden. (Eine "App", ist eine Anwendungs-Software, die Abkürzung für "application",das mit "Anwendung" übersetz wird. Mit einer APP kann man z.B. Fahrscheinekaufen.)

Da die Digitalisierung bzw. das Web ein praktisch unerschöpfliches Angebot von(wahren und falschen) Informationen bereit hält und Entfernungen schrumpfen lässt,ist sie nicht nur für ältere Menschen, die ihre Neugier auf Neues erhalten haben, einegroßartige Sache. Für andere dagegen, die sich mit dem Erlernen der digitalenKompetenzen schwertun, deren Beeinträchtigungen die Handhabung der Geräte und/oder die Aufnahme der Inhalte erschweren, besteht die Gefahr der Ausgrenzung.4. Überlassen wir dieses Problem den Menschen und ihren Angehörigen oder ist es ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge für bedarfsgerechte Zugänge zu sorgen?Natürlich könnte man sagen: der Staat baut das Straßennetz aber für den Führerschein muss jederselber sorgen. Allerdings braucht man für den ÖPNV keinen Führerschein, als Radfahrerin oder Fußgängerauch nicht. Um von A nach B zu kommen, darf jede und jeder das Straßennetz ohne jede Hürde benutzen.Nach unserem Verständnis sind „bedarfsgerechte Zugänge“ zum Web, Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, ohne allerdings die Eigeninitiative zu verdrängen. Dabei sind nicht alle digitalen Zugängebarrierefrei. Dies sicher zu stellen, beispielsweise in Bezug auf Schriftgrößen, Bildunterschriften undHandhabung, ist noch immer eine Herausforderung. Die Kommunen haben hier eine besondere Verantwortung und können nicht immer den einfacheren und sparsameren Weg wählen – sie müssen möglichst alle Bürgerinnen und Bürger „mitnehmen“.

Allerdings gibt es auch Menschen, die nicht „mitgenommen“ werden wollen. Siekönnen nicht mit der Digitalisierung Schritt halten und wollen es im Einzelfall auchganz bewusst nicht. Das ist zu akzeptieren. Sie dürfen nicht an den Rand gedrängtwerden, sondern müssen weiterhin analog ihr Leben gestalten können. Insbesonderemuss sichergestellt sein, dass die zunehmende Digitalisierung der Stadtverwaltungen,Banken und anderer Dienstleister nicht zur Ausgrenzung dieser Menschen führt. Dasgilt vor allem, wenn es um die Beantragung gesetzlicher Leistungen geht. Da muss dieAntragstellung weiterhin per Formular analog möglich sein.5. Wie können wir möglichst viele Menschen zu digitaler Kompetenz befähigen undsicherstellen, dass ihnen der Umgang mit entsprechenden Geräten möglich ist?

Es gibt viele regionale und lokale Initiativen wie die Digitalbotschafter in Rheinland-Pfalz oder die Akademie 2. Lebenshälfte in Brandenburg, die sich dieser Aufgabeannehmen. Überregional tut dies die BAGSO mit den demnächst bundesweit 150Erfahrungsorten im Rahmen des Digitalpakts Alter. Allein die BAGSO hat über 1.000Multiplikator:innen für die Arbeit mit älteren Menschen geschult. Unter dem Titel „Fitfürs Internet: Anlaufstellen in Ihrer Nähe“ hat sie eine Broschüre mit derenKontaktdaten nach Bundesländern sortiert herausgegeben.

Voraussetzungen für die echte digitale Teilhabe von Seniorinnen und Senioren sindWissen, geeignete Geräte und die kompetente Handhabung. Da müssen sich ältereMenschen auch auf Geräten erproben können, ergonomische und kostengünstigeAlternativen der Hardware kennen lernen, auch Informationen über die richtigeVertragsgestaltung erhalten.

Es geht um eine Generation, die nicht mit dem Computer und Internet aufgewachsenist, also nicht „digital native“ wie ihre Enkel sein kann. Auch deshalb sollten ältereMenschen langfristig beim Erwerb digitaler Kompetenzen begleitet werden. So lassensich auch Vorbehalte und Sorgen abbauen. Die Sorge der Älteren, hinsichtlich derSicherheit ihrer Daten und Vertraulichkeit von Gesprächen, ist nicht gering zuschätzen. Das schreckt manche ab, weil sie sich den Anforderungen nicht gewachsenfühlen. Das Internet weiß viele Antworten auf Fragen, erlaubt uns viele Informationenzu finden, aber es erfordert auch große Aufmerksamkeit, um sich vor Betrug zuschützen.6. Wie erreichen wir die alleinlebenden älteren Menschen?

Bei den über 85-jährigen sind das immerhin 58 Prozent.Es geht um die „Unsichtbaren“, also diejenigen, die nicht regelmäßig zum Arzt, zumSport oder zu Treffen an Stammtischen oder Versammlungen kommen, wo sieansprechbar wären. Es geht um alle jene Menschen, die deshalb in der Gefahr derIsolation und zunehmenden Einsamkeit sind – mit häufig psycho-somatischen Folgenfür ihre Gesundheit.7. Wie kommen also die Informationen über Möglichkeiten der digitalen Teilhabe beidieser Zielgruppe an?

Da könnten Spots im Vorabendprogramm der Fernsehanstalten hilfreich sein. Es gibtinzwischen aufsuchende Angebote des Digitalpakts Alter, wo die engagiertenMitarbeiter der 150 Erfahrungsorte bundesweit ältere Menschen zu Hause beraten.Sie sind bei weitem nicht die einzigen, die das tun. Dies könnte auch eine Aufgabe derKommunen im Rahmen der Daseinsvorsorge sein, denn Einsamkeit nicht erstentstehen zu lassen, ist ein wichtiger Beitrag zur Gesunderhaltung. Das erforderteaber zusätzliches Personal, weil das allein im Ehrenamt nicht zu erfüllen wäre.Besonders im ländlichen Raum, in dem die Mobilität nicht einfach sicher zu stellen ist,Busse zum Teil nur einmal in der Stunde verkehren, manchmal sogar überhaupt nichtaußerhalb der Schulzeiten, hilft die digitale Kommunikation Verbindungen undNetzwerke aufrecht zu erhalten und so der Einsamkeit entgegenzuwirken.8. Wie wird Menschen geholfen, deren Altersbezüge die notwendigen Ausgaben für dieTeilhabe an der Digitalisierung nicht hergeben?

Immer wieder ist zu hören: „Das kann ich mir nicht leisten.“ Das allerdings darf ineinem reichen Industrieland wie Deutschland kein Grund sein, ganze Gruppen von derTeilhabe am Internet faktisch auszuschließen. Da fordern wir sozial angepassteBeihilfen zur Beschaffung von Endgeräten – außerdem müssen die laufenden Kostenin den sozialen Transferzahlungen berücksichtigt werden. Computer und Smartphonegehören heute zur normalen Lebenshaltung.9. Welche weiteren Vorteile hat die Teilhabe an der Digitalisierung?

Beispiel Telemedizin: Gerade angesichts fehlender Ärzte im ländlichen Bereich,schwierigen Verkehrsverhältnissen und längeren Wartezeiten, bietet die Telemedizinnicht zu unterschätzende Vorteile, die auch viel Zeit sparen können. Für viele ältereMenschen ist die Akzeptanz dieser Entwicklung und die aktive Teilnahme allerdingsein großer Schritt, der vielen nicht leicht fällt. Gleichwohl ist dieses Konzept,verbunden mit der elektronischen Patientenakte und dem elektronischen Rezeptzukunftsweisend.10. Im 8. Altenbericht aus dem Jahr 2020, „Digitalisierung als Chance für einselbstbestimmtes Leben“, wird empfohlen, dafür zu sorgen, dass Digitalisierung nichtals generationenspaltend angesehen wird, sondern als Möglichkeit, den Austauschzwischen den Generationen zu fördern. Diese Aufgabe wird vor allem bei denKommunen gesehen.Wie kommen wir dahin, und gibt es dazu Ansätze?

Familienintern ist dieser Austausch längst im Gange, denn die junge Generation willeinerseits wissen, wie es ihren Eltern und Großeltern geht, andererseits gibt es einenintensiven Wissenstransfer zwischen Jung und Alt. Enkel erklärt App… Dabei ist dasSmartphone heute unerlässlich, denn Karten oder Briefe werden kaum nochgeschrieben. Über die Familien hinaus ist der erste Kontakt meist analog, daserleichtert den späteren digitalen Austausch.

Wenn sich Jusos und die Mitglieder der AG SPD 60 plus darüber unterhalten, wo inihrer Kommune Freizeitmöglichkeiten z.B. Jugendclubs fehlen, dann muss auchgefragt werden, ob und wann ältere Menschen diese Jugendclubs nutzen können.Begegnungsstätten können stets der Beginn für eine Zusammenarbeit, eine Schulungin Präsenz oder online sein.

Lothar Binding (Bundesvorsitzender SPD 60 plus, Alina Meuser und Frank Kupferschmidt (Mitglied SPD 60 plus Bundesvorstand) auf dem Debattenkonvent der SPD im November 2022