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Aktuelles

11.04.2024

Ohne Europa ist kein Staat zu machen

Die Vorsitzende der AG SPD 60 plus Marburg, Dr. Theresia Jacobi, hatte den Bundesvorsitzenden der AG SP 60 plus, Lothar Binding, zum Thema „Ohne Europa ist kein Staat zu machen“ eingeladen und freute sich, auch den neuen SPD-Landesvorsitzenden Sören Bartol (MdB) begrüßen zu dürfen.

In ihrer Einführung betonte sie die Bedeutung der Wahl zum Europäischen Parlament am 9. Juni 2024 für die Zukunft der Demokratie in der Europäischen Union, die Bedeutung für unser Leben, unsere Arbeit, unsere Umwelt, unsere Freizeit, unsere Kultur und ganz besonders auch für den „Frieden. Leider verstehe sich der Frieden in Europa leider nicht (mehr) von selbst, wie der Überfall auf die Ukraine und zuvor andere Konflikte gezeigt“ haben.

Vielen sei auch nicht bewusst, dass europäische Rechtsvorschriften für alle in der EU gelten und bis tief in die Stadtpolitik von Marburg reichen. Davon sei praktisch kein Politikfeld ausgenommen, sei es Sozialpolitik, Umweltschutz, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, Migration, Verbraucherrechte oder Sicherheit und Frieden. Sie deutete auch die Arbeit der ESO, der European Senior Organisation (ESO), der Senioren-Gruppe der sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) an.

Den Ball konnte Binding gut aufnehmen: „Was hat Europa mit Marburg zu tun – wo spüren die Marburgerinnen und Marburger, ob jung oder alt, Europa?“ so seine Eingangsfrage. Am Beispiel der Steuergestaltung vieler Konzerne, die ihre Gewinne weltweit so verteilen bzw. verlagern, dass am Ende alle Staaten in dieser Hinsicht leer ausgehen, zeigte er, wie dadurch die Gewerbesteuer in Marburg geringer sei, als wenn alle ihren Gewinn fair versteuern würden. Deshalb habe EU-Recht, dessen Anwendung und Durchsetzung unmittelbare Einfluss auf die Einnahmen im städtischen Haushalt, auch in Marburg. Weniger Förderung kultureller Einrichtungen, schleppende Schulsanierung, weniger Radwege und Straßensanierung, weniger Generationenhäuser.

Exkurs: Für die anwesenden Fachleute wurde als Beispiel die in Deutschland entwickelte Zinsschranke genannt, aber auch an die Wegzugs- und Entstrickungsbesteuerung erinnert. Besonders interessant ist die auf einer Idee von Olaf Scholz beruhende und inzwischen eingeführte Mindestbesteuerung mit einem Körperschaft-Steuersatz von 15 Prozent. „Damit werden Steuergestaltungen durch Gewinnverlagerung ziemlich unattraktiv, ein großer international abgestimmter Schritt, den inzwischen viele Staaten mitgehen.“ so Binding.

Ohne Europa ist kein Staat zu machen? Die Antwort sei leicht zu finden, indem die Frage etwas umformuliert werde: Kannst Du lange reich bleiben, Wohlstand sichern, wenn alle Nachbarn arm sind? Für eine Exportnation sei es fundamental wichtig, dass es den Importländern auch gut gehe. Über 60 Prozent aller Exporte deutscher Unternehmen gehen in Länder der Europäischen Union. Deshalb sei es klug, sich in der Europäischen Gemeinschaft um alle Länder zu kümmern. Leider werde auch ein dummer Mythos, häufig von Gegnern der EU, gepflegt: Deutschland sei der „größte Nettozahler in der EU“. Das sei sogar gedankenlos in offiziellen Unterlagen der Europäische Kommission zu finden. Diese Behauptung sei, wenngleich in einem stark simplifizierten Modell, gut widerlegbar, indem man eben nicht nur Abschnitte von Geldkreisläufen betrachte, sondern weitere (auch indirekte) Folgewirkungen betrachtet. Es sei klar: von jedem Euro, der nach Brüssel geht, kommt aus Brüssel unmittelbar weniger als die Hälfte nach Deutschland zurück, oft als Subventionierung großer landwirtschaftlicher Betriebe. Allerdings sei die Betrachtung etwas auszuweiten, denn fast jeder Euro, der nach Brüssel fließe, diene schließlich Investitionsprojekten in anderen Mitgliedstaaten der EU, die allerdings diese Förderung durch eigene Mittel ergänzen müssen. Im Ergebnis komme der deutsche Euro durch intensive Abnahme deutscher Exportgüter vermehrt zurück. So werden Arbeitsplätze und Einkommen in Deutschland geschaffen und erhalten und der Vorteil ist viel grösser als der unmittelbare Rückfluss aus Brüssel vermuten lässt. Das ist eine Teilerklärung für den deutschen Wohlstand.

Mit dem Hinweis auf die Arbeit von Katarina Barley, MdEP und Mitglied der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, rückten die zentralen Themen in den Mittelpunkt: ein soziales und rechtstaatliches Europa in kultureller Vielfalt, die Freizügigkeit, die Freiheit sich überall niederlassen zu können, überall arbeiten zu können, an keinen Schlagbäumen mehr kontrolliert zu werden, Grenzüberschreitung ohne Zoll und Zollformalitäten. Auch die enormen Vorteile des Euro im Euroraum, Erleichterung der Preisvergleiche, keine Umtauschkosten, helfen vielen Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar. Die jüngsten Entscheidungen über neue Regeln für gute Arbeit auf digitalen Plattformen und den transparenten Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und über das mit den Gewerkschaften erreichte Lieferkettengesetz zeigten, wie wichtig gute Arbeit in Europa ist und damit, wie wichtig die Wahlen zum Europäischen Parlament am 9. Juni 2024 seien.

Last but not least habe die EU auch eine für Deutschland unschätzbare Bedeutung in geostrategischer Hinsicht. Was sich recht theoretisch anhöre, erlange „schnell eine praktische Dimension, wenn wir die Ziele und Entwicklungen in China und den USA, in Russland und dem Nahen Osten in den Blick nehmen“, so Binding. Sowohl hinsichtlich der wirtschaftlichen Stärke als auch zur Sicherung des Friedens werde schnell deutlich, dass es nicht klug wäre, wenn sich Deutschland allein auf den Weg machen würde.