Mit Witz und Kompetenz begeisterte Lothar Binding (von 1998 bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestags und lange finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, aktuell Vorsitzender der größten SPD-Arbeitsgemeinschaft 60 plus) die Gäste bei seinem knapp zweistündigen Vortrag in Büdingen-Lorbach zur „Zukunft der Rente“.
So stellte er eingangs eine Frage in die Runde, antwortete aber flugs gleich selbst: Wer ist der größte Lügner im Land? Der Durchschnitt! Denn der Durchschnitt verschweige den Reichtum und verstecke die Armut. Deshalb sei die Aussage „uns geht‘s doch ganz gut“ richtig und falsch zugleich. Im Durchschnitt stimmt sie, aber bei genauerem Hinsehen sehen wir auch Armut. Deshalb gehe es in der Politik viel mehr um den genauen Blick als um lautes Geschrei.“
So sei schnell zu sehen, wie wichtig eine große Rentenreform in Richtung „Erwerbstätigenversicherung“ sei: Alle bezahlen in die gesetzliche Rentenversicherung ein, alle erwerben Rentenansprüche oberhalb des soziokulturellen Rentenniveaus - ein Baustein zur Überwindung von Altersarmut. Dabei seien faire und auskömmliche Löhne bzw. die entsprechenden Versicherungsbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung die einzigeQuelle der Altersversorgung. Binding: „Auch die private, die betriebliche oder die kapitalgedeckte Altersvorsorge, gefördert oder nicht, speisen sich am Ende aus der gleichen Quelle, dem Arbeitsergebnis der aktiv arbeitenden Alterskohorte.“
Das gelte auch für den Steuerzuschuss zur Rente von über 100 Milliarden Euro. Das gelte auch für die von der FDP favorisierte Aktienrente, die er kritisch beurteilt. „Ohne gute Arbeit, ohne Wertschöpfung der Arbeitenden, gibt es trotz dickem Aktiendepot keine Wurst und keinen Wohlstand“ so Binding.
Die Rente habe eine gute Zukunft, so Binding, denn: „Die reine Betrachtung der Anzahl junger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Verhältnis zu alten Rentnerinnen und Rentnern sei nicht zielführend. Man muss dazu zwingend die Produktivität und die Verteilung von Produktivität bedenken – dann ist die Finanzierung der „Babyboomer-Generation“ kein Problem.“
Insbesondere auf Social Media wird regelmäßig gefordert, dass die Rente im Alter steuerfrei sein müsse, da sie ja während des Arbeitslebens bereits versteuert worden wäre. „Falsch“, meinte Lothar Binding: „Für jedes Einkommen wird nur einmal Einkommensteuer erhoben. Soweit die Rente aus versteuertem Einkommen in der Einzahlungsphase der Beiträge kommt, bleiben die Renten in der Auszahlungsphase steuerfrei. Es gibt also keine doppelte Besteuerung der Rente, wobei es sogar besser ist, in der Rentenphase Steuern zu bezahlen, als in der aktiven Arbeitsphase, da das Einkommen in der Rentenphase deutlich geringer ist, die Steuer also deutlich niedriger.“
Wer sich mit dem Rentensystem beschäftigt, muss sich auch mit dem Wirtschaftssystem beschäftigen. Lothar Binding tat das und veranschaulichte seine Argumente mit Zeichnungen am Flip-Chart und einem Zollstock, seinem Markenzeichen, das auch bei vielen seiner Reden im Deutschen Bundestag zum Einsatz kam.
Binding versuchte, den Mythos zu entzaubern, Staatsschulden müssten „zurückgezahlt“ werden: „Staatsschulden sind Schulden bei sich selbst, bei allen Bürgerinnen und Bürgern und Leuten aus dem Ausland, die ihr Geld gern an Deutschland ausleihen. Deshalb geht es vor allem um die Schuldentragfähigkeit, also darum, dass der Staat stets die Schulden etwa durch Zinsen finanzieren kann. Die Schulden sind also nicht mehr als ein Geldtopf, in den ständig eingezahlt wird. Erst mit diesem Liquiditätstopf ist der Staat in der Lage, ein Straßennetz, ein Schienennetz, Universitäten und Schulen zu bauen, denn die Bürger sind ihre eigenen Gläubiger.“
Eine der Ursachen, warum die deutsche Wirtschaft schwächele, sei die fehlende Nachfrage von privaten Haushalten, bei einer Sparquote von derzeit über zehn Prozent. Die zweite Ursache sei die schwache öffentliche Nachfrage – eine Folge der aus Bindings Sicht dogmatischen Versteifung auf die Schuldenbremse.
„Schafft die Schuldenbremse ab, liebt Eure Staatsschulden, achtet aber auf die Schuldentragfähigkeit und hinterlasst künftigen Generationen eine gute Infrastruktur,“ so der Appell von Binding an die Bundespolitik, für die er noch zwei weitere Ratschläge parat hatte: „Der gegenwärtigen Wirtschaftsschwäche wäre leicht zu begegnen. Gebt erstens den Rentnerinnen und Rentnern, von denen etliche jeden Cent dreimal umdrehen müssen, etwas mehr Geld, die private Nachfrageschwäche – eine der Ursachen für die schwächelnde Wirtschaft – würde überwunden. Nehmt zweitens Geld in die Hand und baut gute Schulen, gute Schienen, preiswerte Wohnungen, gute Pflegeheime, gute Radwege, repariert Straßen – und die öffentliche Nachfrageschwäche nach Investitionsgütern könnte schnell überwunden werden.“